Sachverhalt:
- Der Kläger begehrt die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten als Gesamtschuldner für Schäden aus einem Verkehrsunfallgeschehen. Am 09.11.2006 kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Fahrer eines Kraftrollers schwer verletzt wurde. Die ungekürzte Einstandspflicht der Beklagten zu 1) als Unfallverursacherin und die damit einhergehende Einstandspflicht der Beklagten zu 2) als Haftpflichtversicherung im gleichen Umfang stehen – mit Ausnahme der Frage der Verjährung – zwischen den Parteien nicht im Streit.
- Mit Anwaltsschreiben vom 31.03.2010 bezifferte der Kläger weiteren Schadensersatz. In dem Schreiben heißt es weiter:
„Herr A. hat sich entgegen ursprünglicher Absicht gegen eine endoprothetische Versorgung der linken Hüfte zum jetzigen Zeitpunkt entschieden. Nach Einholung ärztlichen Rates stellt sich für Herrn A. die Situation so dar, dass eine endoprothetische Versorgung zwar geeignet sein könnte, die Schmerzen im Gelenkbereich zu mindern und die Beweglichkeit zu erhöhen. Auf der anderen Seite kann jedoch einer Prothese allenfalls eine Lebensdauer von rund 15 Jahren zugemessen werden. …. Die Entwicklung muss insoweit noch abgewartet werden. …. Wir bitten um Überweisung sowie um Erklärung, dass Sie verpflichtet sind, Herrn A. allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall vom 09.11.2006 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.“
- Auf das Schreiben vom 31.03.2010 leistete die Beklagte zu 2) weiteren Schadensersatz und führte in ihrem Antwortschreiben vom 23.04.2010 unter anderem wie folgt aus:
„In Ansehung der gesundheitlichen Situation Ihres Mandanten erklären wir, dass wir die zukünftigen materiellen und immateriellen Ansprüche Ihres Mandanten nach Sach-und Rechtslage regulieren werden, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.“
- Mit Anwaltsschreiben vom 10.06.2016 meldete sich der jetzige Prozessbevollmächtigte für den Kläger und machte weitere Ansprüche geltend. Hierauf erhob die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 24.06.2016 die Einrede der Verjährung.
Rechtliche Würdigung:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Einstandspflicht der Beklagten als Gesamtschuldner trotz der erhobenen Verjährungseinrede wie folgt begründet:
- Ein titelersetzendes Anerkenntnis liegt vor, wenn der Schädiger dem Geschädigten ein schriftliches Anerkenntnis hinsichtlich der Zukunftsschäden abgibt, um ihm eine Feststellungsklage zu ersparen.
- Hierfür ist eine übereinstimmende Willensrichtung erforderlich, für die es konkrete Anhaltspunkte im Sachverhalt geben muss. Das Interesse des Geschädigten an der Abgabe einer solchen Erklärung reicht grundsätzlich nicht aus. Ein in einer Abfindungserklärung aufgenommener Vorbehalt hinsichtlich materieller Zukunftsschäden stellt deshalb in der Regel kein titelersetzendes Anerkenntnis dar.
- Die Beantwortung der Frage, welchen rechtsgeschäftlichen Bedeutungsinhalt das Schreiben der Beklagten zu 2) vom 23.04.2010 hat, folgt den allgemeinen Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen, §§ 133, 157 BGB. Neben dem Wortlaut, der vorliegend die Annahme eines titelersetzenden Anerkenntnisses weder stützt noch ausschließt, ist der Verhandlungskontext, der sich aus dem Schriftwechsel ergibt, von Bedeutung.
- Da das Schreiben der Beklagten zu 2) vom 23.04.2010 im streitgegenständlichen Passus die Antwort auf das Schreiben des Klägers vom 31.03.2010 darstellt, ist für die Ermittlung des Erklärungsinhalts darauf abzustellen, was der Kläger mit der Abgabe der Erklärung der Beklagten zu 2) – objektiv erkennbar – bezwecken wollte. Auch wenn das Schreiben des Klägers keine Begründung für sein Begehren, die Beklagte zu 2) möge Ihre Einstandspflicht dem Grunde nach auf Zukunftsschäden anerkennen, enthält, lässt sich auch ohne die Verwendung des Hinweises auf eine „sonst erforderlich werdende Feststellungsklage“ erkennen, dass es dem Kläger allein darum ging, eine mögliche Verjährung der Ansprüche für die Zukunft auszuschließen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass in dem Schreiben vom 31.03.2010 die Bitte um eine Erklärung der Einstandspflicht unmittelbar nach der Darstellung eines sich entwickelnden Schadens (Totalendoprothese und Versteifung von Gelenken) platziert ist, sodass für die Beklagte zu 2) klar erkennbar war, dass der unstreitig bestehende Schadensersatzanspruch rechtlich im Hinblick auf seine Durchsetzbarkeit in der Zukunft gesichert werden sollte, und zum anderen daraus, dass ein Streit über die Haftung dem Grunde nach und eventuelle quotale Kürzungen nicht bestand, sodass – wollte man der Beklagten zu 2) nicht unterstellen, rechtlich belanglose Erklärungen abgeben zu wollen – die Erklärung „zukünftige Ansprüche regulieren zu wollen“ vom objektiven Empfängerhorizont nur dahingehend verstanden werden konnte, auf die Einrede der Verjährung auch ohne ein rechtskräftiges Feststellungsurteil gleichen Inhalts im Umfang der einem rechtskräftigen Titel entsprechenden Verjährungsfrist (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) verzichten zu wollen.