Orientierungssatz:
Dem Versicherer ist es nicht verwehrt, nach Maßgabe einer mit dem Versicherungsnehmer geschlossenen Leistungsvereinbarung, dieses ohne Anerkennung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, nur zeitlich begrenzt Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zu erbringen, nachdem die medizinischen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit auch nach sorgfältiger Prüfung nicht abschließend geklärt waren und die Versicherungsbedingungen die Möglichkeit eines befristeten Leistungsanerkenntnisses vorsehen. Rechtsfolge des Auslaufens der Kulanz-Vereinbarung ist, dass der Kläger das Bestehen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit für den eingeklagten Anschluss-Leistungszeitraum uneingeschränkt darlegen und beweisen muss.
Sachverhalt:
Nachdem der Versicherungsnehmer den Eintritt der Berufsunfähigkeit wegen einer Erkrankung an den Gesichtsnerven (Trigeminusneuralgie) ab November 2011 geltend machte, erbrachte der Versicherer nach Maßgabe einer im November 2012 geschlossenen Leistungsvereinbarung die versicherten Leistungen für den Zeitraum November 2011 bis einschließlich März 2013. Der Versicherungsnehmer macht klageweise die Leistungen für den Anschluss-Zeitraum von April 2013 bis August 2014 geltend und beruft sich u.a. darauf, dass der Versicherer nicht berechtigt gewesen sei, seine Leistungspflicht im Rahmen der Leistungsvereinbarung zeitlich zu begrenzen und er sich von seiner Leistungspflicht nur nach den Grundsätzen des Nachprüfungsverfahrens hätte lösen können.
Rechtliche Würdigung des OLG Nürnberg:
- Als Ausgangspunkt ist zunächst festzuhalten, dass es im vorliegenden Fall um eine Erstbemessung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit geht.
- (Es) steht fest, dass die Leistungserbringung der Beklagten im Zeitraum November 2011 bis einschließlich März 2013 ausdrücklich als „Kulanzleistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und insbesondere auch ohne „Anerkennung von bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit“ erfolgte.
- Der Abschluss der vorgenannten Leistungsvereinbarung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Leistungsprüfung der Beklagten nicht abgeschlossen und die komplexe fachmedizinische Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten schwerwiegenden Gesichtsnervenerkrankung im Ungewissen lag. Immerhin hatte das von der Beklagten eingeholte neurologische Gutachten vom 31.07.2012 (Dr. K-R) ein Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit – im Gegensatz zu den von Versicherungsnehmerseite eingereichten ärztlichen Befunden – verneint.
- In diesem Verfahrensstadium der Leistungsprüfung war es der Beklagten aus Rechtsgründen und insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen des privatrechtlichen Versicherungsvertragsverhältnisses spezifische Ausprägung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht verwehrt, eine befristete freiwillige Leistungserbringung ohne Anerkennung einer vertraglichen Leistungspflicht mit Ihrem Versicherungsnehmer zu vereinbaren. Diese Möglichkeit war in den Vertragsbedingungen vorgesehen.
- Dem Vertrag aus dem Jahr 2001 liegen unter anderem die AVB BUV 10.00 zugrunde. Eine Anpassung an das VVG 2008 fand nicht statt.
In § 14 heißt es:
(1) Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und für welchen Zeitraum wir eine Leistungspflicht anerkennen.
(2) Bei einer befristeten Anerkennung prüfen wir nach Ablauf des Leistungszeitraumes die Voraussetzungen des Anspruchs neu.
- Es ist deshalb nicht ersichtlich, dass die Beklagte im November 2012 zur vorbehaltlosen und unbefristeten Anerkennung einer vertraglichen Leistungspflicht gegenüber dem Kläger verpflichtet gewesen wäre, ebenso wenig wie erkennbar wäre, dass der Kläger durch den Abschluss der fraglichen Leistungsvereinbarung in seiner Rechtsposition innerhalb des Vertragsverhältnisses benachteiligt worden wäre. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall in entscheidungserheblichem Umfang von derjenigen Konstellation, der der Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 29.04.2015 (5 U 67/14 juris) und dem nachfolgenden Revisionshinweis des BGH gemäß § 552a ZPO vom 15.02.2017 (IV ZR 280/15, VersR 2017, 868) zugrunde lag.
- Rechtsfolge des Auslaufens der Kulanz-Vereinbarung ist, dass der Kläger das Bestehen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit für den eingeklagten Anschluss-Leistungszeitraum uneingeschränkt darlegen und beweisen muss.